„Shuggie ist anders, zart, fantasievoll und feminin, und das ausgerechnet in der Tristesse und Armut einer Arbeiterfamilie im Glasgow der 80er-Jahre, mit einem Vater, der virile Potenz über alles stellt. Shuggies Herz gehört der Mutter, Agnes, die ihn versteht und der grauen Welt energisch ihre Schönheit entgegensetzt, Haltung mit makellosem Make-up, strahlend weißen Kunstzähnen und glamouröser Kleidung zeigt – und doch Trost immer mehr im Alkohol sucht. Sie zu retten ist Shuggies Mission, eine Aufgabe, die er mit absoluter Hingabe und unerschütterlicher Liebe Jahr um Jahr erfüllt, bis er schließlich daran scheitern muss.“
- Beschreibung des Verlags -
Ein hochgelobter Roman, der scheinbar bereits in vielen Regalen steht und viel geliebt wird. Was blieb mir da anderes übrig, als ihn selbst auch zumindest zu hören? Vor allem, weil mich das Thema so sehr angesprochen hat. Gut, perfekt ist er nicht, aber sowohl thematisch, als auch emotional eine absolute Achterbahnfahrt und ich habe ihn wirklich gern gehört. Mehr dazu aber jetzt.
Der Schreibstil des Autoren ist mal etwas anderes. Er schreibt nämlich nicht nur locker und leicht, sondern auch sehr umgangssprachlich, was gerade, wenn man den Roman als Hörbuch hört und das mit diesem tollen Sprecher, eine absolute Freude ist. Dabei wird der Dreck und die Hoffnungslosigkeit des Settings gerade durch die recht derbe Sprache erst so richtig unterstrichen. Was mir aber hieran am meisten gefallen hat ist, dass der Autor nicht tief bedrückend und gefühlsduselig schreibt, sondern sehr klar und sachlich und oftmals auch mit sehr viel trockenem Humor, welcher in sehr kreativen und echt witzigen Dialogen zum Vorschein kommt.
Was die Handlung angeht, so hatte ich anfangs ein paar Probleme, hinein zu finden, musste diese sogar nach wenigen Minuten noch einmal von vorn beginnen. Das lag aber nicht an der Geschichte selbst, sondern an dem recht komischen Aufbau. So lernt man gleich am Anfang den bereits erwachsenen Shuggie kennen, wobei mir nicht so richtig klar geworden ist, was uns Lesern dieser kurze Teil eigentlich sagen soll, da ich ihn dadurch nun nicht unbedingt besser kennengelernt habe. Dann springt die Handlung plötzlich zu Shuggies Jugendalter, wo erzählt wird, dass er sich in einer Art Herberge, welche auf mich schon fast wie ein Bordell wirkte, eingemietet hat. Erst dann kommen wir an den tatsächlichen Anfang der Geschichte. Es sind die achtziger Jahre in Glasgow, Shuggie ist fünf Jahre alt und noch eher eine Randfigur. Viel mehr geht es hier um die gesamte Familie Bain, eine Familie bestehend aus der alkoholkranken Mutter Agnes, ihrem untreuen und harschen Ehemann Shug und den insgesamt drei Kindern. Diese leben in der kleinen Plattenbauwohnung von Agnes Eltern in ärmlichen Verhältnissen, wo das wöchentliche Kartenspiel und das Bestellen auf Pump im neuen Katalog die größten Höhepunkte im Leben sind. Im Mittelpunkt steht dabei vor allem Agnes, ihre Alkoholsucht und der tägliche Kampf, dennoch ein möglichst normales Leben zu führen. Es geht aber auch um die Beziehungen der einzelnen Familienmitglieder untereinander, um die Liebe zwischen der Mutter und ihrem jüngsten Sohn, aber auch um die gegenseitige Abhängigkeit. So zieht sich die Geschichte durch mehrere Jahre, manchmal tief emotional, dramatisch und verstörend, manchmal aber auch hoffnungsvoll und voller Humor und dennoch merkt man irgendwie die ganze Zeit, dass diese ganze Geschichte nicht gut ausgehen kann. Und während die Geschichte von Jahr zu Jahr und Ort zu Ort weiter erzählt wird, bekommt auch Shuggie immer mehr Spielraum. Er rückt näher und näher in den Mittelpunkt und macht ihn dann, wenn die beiden größeren Geschwister ausgezogen sind, zumindest zu einem wichtigen Hauptcharakter, auch wenn die wahre Protagonistin in diesem Buch für mich Agnes blieb. Und hier liegt auch mein größter Kritikpunkt und gleichzeitig mein größtes Lob, denn genau so sieht es aus im Leben mit einem Alkoholiker. Dieser ist und bleibt die Hauptfigur, der Mensch, um den sich alles dreht. Da bleibt kein Platz für die Kinder, für Verantwortung. Und trotzdem hätte ich mir gewünscht, dass noch mehr auf Shuggie eingegangen worden wäre, schließlich ist er auch der Namensgeber für den Roman.
Und damit wären wir auch schon bei den einzelnen Charakteren, wobei ich einfach nicht so richtig weiß, wie ich sie beschreiben soll. Aber genau das macht diesen Roman auch aus. Die Charaktere sind meiner Meinung nach perfekt inszeniert, gleichzeitig aber auch nicht so richtig greifbar. Agnes ist eine so stolze Frau, nach außen immer gepflegt, adrett gekleidet und doch ein absolutes Frack. Dennoch merkt man zwischen den Zeilen auch immer wieder, dass sie ihre Kinder liebt und eigentlich auch stärker sein will, als sie tatsächlich ist. Vielmehr ist sie eine sehr willensschwache Frau, was eine Szene im Buch erst so richtig zum Ausdruck bringt, als sie für einen Mann zum Alkohol greift. Mehr will ich hierzu aber nicht verraten. Dann ist da natürlich Shuggie, ein kleiner, ruhiger Junge, der anders ist als all die anderen Jungen in seinem Alter, künstlerisch begabt und bedacht auf die kleinen Dinge im Leben. Ein Träumer halt. Er liebt seine Mutter so sehr und muss doch immer wieder sehen, wie sie scheitert und dabei hat er es selbst nicht leicht, muss zwischen all dem Drama in seiner Familie seine eigene Identität finden und steht irgendwie die ganze Zeit allein da. Und auch die Nebenfiguren fand ich hier mehr oder weniger wichtig, wobei mir direkt Agnes Ehemann Shug im Gedächtnis geblieben ist. Er ist eine unangenehme und wenig liebenswerte Figur, beinahe schon ein Narzisst, was es für Agnes und Shuggie natürlich auch nicht leichter macht. Aber es kommt noch schlimmer, als Agnes einen anderen Mann kennenlernt, einen Mann der anfangs noch scheinbar ihr Leben verändert und durch seine absolut fehlende Sensibilität alles kaputt macht. Hieran sieht man dann besonders, dass schon die Auswahl ihrer Männer für Agnes Unsicherheit steht. Außerdem sind da noch ihre Eltern, welche ich einfach herrlich fand. Allerdings ihren Vater noch mehr als die Mutter. Er meint es scheinbar gut mit ihr, ist aber leider auch kein Vorbild, dennoch geben ihr ihre Eltern doch noch ein Stück weit einen gewissen Halt.
Alles in allem merkt man sicher schon an meiner dieses Mal doch sehr langen Rezension, dass mich dieser Roman sehr bewegt hat, dass er mich zum Nachdenken gebracht hat und dass ich mich auch mit den Charakteren viel beschäftigt habe, weil sie und ihr Schicksal mir einfach nicht aus dem Kopf gehen wollten. Die Geschichte von Shuggie ist dabei so sehr aus der Realität gegriffen und fühlt sich auch so sehr realistisch an, dass sie mich wirklich erschüttert hat. Und sicher ist Shuggies Geschichte, auch wenn es ihn so nie gegeben hat, nur eine von vielen, die tatsächlich sehr real sind und das macht mich extrem traurig.
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